Pressestimmen
zu Oberland (Auswahl)

 
Vorweg: Hier sind nicht nur positive Kritiken und Verrisse versammelt, sondern auch gute Beobachtungen und reiner Unsinn. Ich wähle Rezensionen auf meiner Homepage vor allem nach dokumentarischen Kriterien aus.
Eine Kurzübersicht gibt es unter perlentaucher.de

Weitere Rezensionen online:

(emk) in Westfälische Nachrichten vom 29.4.2002:

[zur Doppellesung mit Axel Schöpp im Künstlerdorf Schöppingen am 25.4.2002]

Marcus Jensen trug aus seiner Trilogie Oberland vor, an der er seit 1990 arbeitet. (...) Jensen wählte einen besonderen Zeitpunkt. Behse ist 14 Jahre alt, es ist Silvester 1981 und er ist allein zu Hause. Seinen nackten Körper bereitet er akribisch auf die Performance vor. (...) Die Auswahl der Musiktitel ist makaber und zugleich witzig. (...) Auch diese Erzählung ist gewöhnungsbedürftig: Sie zeigte drastisch die Vereinsamung, die die moderne Gesellschaft immer mehr prägt.

Lisa unter gay-web.de, 22.2.2004:

Mit überschäumendem, barockem Erzähltalent präsentiert der Autor seinen zweiten Roman, der zweifellos an den Erfolg des ersten, Red Rain, anknüpfen wird. Er spiegelt die Zeit, das Lebensgefühl der späten Sechziger bis Achtziger, gefiltert durch die hauptsächlich inneren, aber auch äußeren Ereignisse des Durchschnittsjugendlichen namens Jens, oft todesnah, selten heiter. Dennoch spürt der Leser eine Leichtigkeit. Er wird getragen, mitgerissen, erlebt diese Gegenwart hautnah. Individuelles überwiegt, Politisches bleibt dennoch immer präsent. Ein wirklich gelungenes, ernst zu nehmendes Buch des 1967 in Hamburg geborenen Autors, der in Pinneberg aufwuchs und jetzt in Berlin lebt. Großartig!

vollständiger Text online

Klemens Taplan unter sandammeer.at, 4.3.2004:

Oberland ist keine leichte Lektüre. Die Abläufe und Zusammenhänge sind, vielleicht verursacht durch die jenseitige Perspektive, schwer nachvollziehbar. Handelt es sich um einen Schelmenroman? Ich halte den Roman eher für eine düstere, mit einer guten Portion Zynismus angereicherte Geschichte, in der der Zeitgeist der 1980er Jahre lebendig wird. Die partiell vorhandene Untergangsstimmung der 1980er Jahre wird instrumentalisiert, um Jens Behses Todessehnsucht zu erklären. Oder ist es eher umgekehrt? Ging es Marcus Jensen darum, die sinnentleerte Neuzeit aufzuarbeiten, in der Vereinsamung zum gesellschaftlichen Problem wird? Unter diesem Blickwinkel wird der destruktive Pfad, auf dem sich der Protagonist bewegt und den er niemals verlässt, verständlich. Die Tiefe des Werkes lässt vielfältige Interpretationsspielräume zu.

vollständiger Text online

Gerrit Bartels in taz vom 13.3.2004:

[Saisonauftakt-Lesung im Literarischen Colloquium Berlin am 11.3.2004]

Marcus Jensen lässt seinen toten Romanhelden Jens Behse wie vor kurzem erst Stewart O'Nan in Halloween zurück auf die Welt kommen: als Geisterfahrer, der vom titelgebenden Helgoländer Oberland aus auf sein kurzes Leben (...) blickt (...). Als "großen Wurf" bezeichnen die Moderatoren Jensens fünfhundertsechs Seiten starkes zweites Buch (...), als "Abgesang auf die BRD", auch als Generation-X- und Slacker-Roman - alles Kategorien, die Jensen im Gespräch nicht so gelten lassen möchte: "Das Buch lässt sich vielleicht als Geisterroman lesen", gesteht er, um dann unbescheiden anzufügen, "in jedem Fall aber ist die Konstruktion sehr, sehr komplex". Stellt man dazu die Aussage Anke Stellings, dass sie sich mit ihrer Frau-liebt-vergeblich-Mann-Thematik eins mit ungefähr 85 Prozent der Weltliteratur wisse, erkennt man: An Selbstbewusstsein mangelt es der neueren deutschen Literatur auch in weniger rosigen Zeiten wie diesen nicht.

vollständiger Text online

Ulrich Baron in Bücher 3/2004, April 2004:

Eines Tages inszeniert er seinen Abgang mit Hilfe einer Handgranate. Den Knall hört man schon nicht mehr. Doch die Fetzen seines kurzen und nicht sehr ertragstarken Lebens sind an uns vorbeigeflogen. Mit langem Atem und irgendwie zielstrebig. Oberland ist das lang ersehnte Gegenmittel zur "Generation Golf". bücher-Autor Marcus Jensen schreibt gerne von überschätzten Werken. Sein Buch gehört nicht dazu.

Martin Krumbholz in Literaturen, April 2004:

Immerhin: so schmerzlich scheinen jüngere Gegenwartsautoren den Verlust der Kindheit zu empfinden, dass etwa Marcus Jensen seinen voluminösen Roman Oberland im Freitod des Helden gipfeln lässt - eine artistische Volte, denn es handelt sich dabei gleichzeitig um den Ich-Erzähler. Und viel Tinte fließt auch in Gerhard Henschels Kindheitsroman. Beide Autoren pflegen die Liebe zum minuziös erfassten Detail, zum Konkret-Dinglichen, freilich auch zur litaneihaften Wiederholung, zum teilweise breit wuchernden Dialog. Was sie darüber vernachlässigen, ist die Fokussierung auf ein erkennbares, begrenztes erzählerisches Sujet. Das Thema von Jensen und Henschel ist schlicht die Kindheit bzw. die Pubertät. (...) Ein ähnlich problematisches Verhältnis zur Schreib-Ökonomie ist auch bei Marcus Jensen, Jahrgang 1967, zu beobachten - obwohl Jensen ambitionierter schreibt und sich einen bösen Blick verordnet hat, der Henschels archivarischem Ehrgeiz fremd ist. (...) Das eröffnende Helgoland-Kapitel ist mit seinen harten Schraffuren und schrulligen Nordsee-Typen das gelungenste, atmosphärisch aufgeladen mit hier noch frischer Beschreibungsenergie - und übrigens einem ultragnadenlosen Blick auf das schlechte "antiautoritäre Gewissen" der 68er-Eltern. (...) Das ist freilich nicht der Blick eines Fünfjährigen, sondern Ergebnis eines blechtrommelartigen Kunstgriffs, der sich gezielte Anachronismen ebenso erlaubt wie gewundene Satzkonstruktionen. (...) Überhaupt lässt Jensens zunächst imponierende Sprachgewandtheit zunehmend eine beträchtliche Selbstgefälligkeit erkennen, besonders im Mittelteil des Romans, dem Pubertätskapitel, dessen vielleicht naturwüchsige Phallusfixiertheit sich galoppierend verselbständigt. Hinter den pastos ausgeführten Episoden und den flotten Sprüchen nimmt man keine Not wahr, sondern den Versuch eines noch jungen und bereits erfolgreichen Autors, sich mit barocker rhetorischer Prachtentfaltung selbst ein Denkmal zu setzen.

vollständiger Text online unter Cicero.de

Richard Kämmerlings in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.3.2004:

Jensen errichtet seine ambitionierte Romankonstruktion um ein schlichtes Gedankenspiel herum. Wie wäre es, sein Leben noch einmal zu durchleben, mit dem ganzen Wissen des Späteren (soweit man sich zum Zeitpunkt seines Todes noch daran erinnert)? Wie würde das eigene Leben aussehen - sub specie aeternitatis, unter dem coolen Blickwinkel der Ewigkeit betrachtet? Diese Pubertätsphantasie, sich selbst beim Leben, beim Lieben und Leiden von außen zuzuschauen, wird hier zum Narrationsprinzip. Literatur als Nahtoderfahrung: Der Erzähler schwebt über dem OP-Tisch, während dort an seinem offenen Herzen herumgeschnitten wird. (...) Wenn Jensen eine Schülerfete mit Songs von Ideal und Joachim Witt überblendet, nimmt er die Archivfunktion der Popliteratur - nach Moritz Baßlers These - auf und führt sie zugleich ad absurdum. So verlangt Jens von seinen Mitschülern, daß die die Texte auswendig lernen, um sie bei einer eventuellen Wiederkehr aus dem Jenseits zitierfähig parat zu haben: Das eigene Leben wird gleich durch die Brille des späteren Chronisten wahrgenommen. Indem Jensen die Grundsituation des Autobiographen - sich selbst in Beziehung zu einem früheren Ich zu setzen und sich der Kontinuität des Lebens erzählend zu versichern - als Plot in die Erzählung einführt, revitalisiert er den Pop-Roman als metaphysischen Thriller. Die Unmittelbarkeit der Lebensgeschichte verbindet sich mit philosophischer Spekulation und bricht deren verkopfte Abstraktheit in den Spintisierereien der Pubertät. (...) Wer sich darauf schon zu Lebzeiten vorbereiten will, kann sich allerdings leicht in den Möbiusbändern logischer Paradoxien verheddern. (...) Während dem Erzähler, unterstützt durch einige untote Begleiter aus dem Jenseits, wichtige Zusammenhänge seiner Lebenshandlung plötzlich klarwerden, wird das Dunkel um den Leser dichter, der erst bei einer abermaligen Lektüre manche Anspielungen und Reflexionen des Beginns verstehen kann. (...) Auf vielfältige Weise spiegeln sich die drei Zeitebenen ineinander: Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen ist das gleichwinklige Dreieck der Mathestunde; die sommersprossigen Zwillinge auf Helgoland sind das nicht totzukriegende Papageienpärchen der Eltern; die Sprengung 1947 auf Helgoland entspricht den Explosionen der uralten, aber noch funktionierenden Weltkriegshandgranaten (...). Bei Jensen weiß man von Anfang an, wer stirbt, doch kommt es gerade darauf nicht an. (...) Diese haßerfüllte Abrechnung mit der Generation der Eltern und Lehrer gehört eher zu den Schwachpunkten des Buches, dem hier Kürzungen nicht geschadet hätten. Stärker ist dagegen die oft unausgesprochene Verknüpfung mit den Schatten der NS-Zeit, die ebenfalls zombiehaft fortdauert; (...) Jens scheint den Tod zu suchen, um sich für immer in der eigenen Vergangenheit aufhalten zu dürfen - ein Privileg, das außer dem Zombie nur der erinnernde Autor genießt. (...) Jensens hochintelligenter Roman hat mit dem Leben gemein, daß man ihn beim ersten Durchgang nicht ganz versteht. Doch ist hier gewiß, daß es ein zweites Mal geben kann.

vollständiger Text online

Jens Uwe Sommerschuh in Sächsische Zeitung vom 24.3.2004:

Oberland wird allen gefallen, die sich von der Mühe nicht abschrecken lassen, die es kostet, sich durch das Gestrüpp der Gedankenfetzen und -sprünge in die Geschichte hineinzukämpfen. Doch in kaum einem Buch seit Salingers Fänger im Roggen war der Aufruhr im Herzen, Unglück und Überlegenheit des Teenagers als solchem derart präsent. An all die Ängste, die seelischen Katastrophen und erbärmlichen Versuche, cool zu tun, kann einer sich nicht rückblickend so detailliert erinnern, oder etwa doch? (...) Der lange, langschemlige Behse und die dicke, vom Schicksal gestreifte Steff, ein derart phänomenales Paar hat es in der deutschen Literatur seit den Erfindungen des frühen Grass kaum mehr gegeben. Die beiden verkörpern Witz, Weisheit und Traurigkeit, Tragikomik und Dramatik, sie durchschauen die Großen und sind auf würdevolle Weise selber hornblöd. Wenn dem Buch etwas anzulasten ist, dann seine gelegentliche Konstruiertheit, Betrachtung von oben, hinten und aus der Zukunft, Mitschrift und Aufnahme, Rückblick und Voraussicht, da bewahrt einen manchmal nur die Behäbigkeit des Grundtons, der ums Eck schlurfende Hanseatenhumor davor, das Buch in die Ecke zu feuern. Durchhalten lohnt. Ein einzigartiges, vertracktes Gesellenstück übers Erwachsen-nicht-werden-wollen in der beknackten 80er-Jahre-Bundesrepublik, Pinneberger Variante.

Gerrit Bartels in taz vom 25.3.2004:

Als eigentlich schon toter Ich-Erzähler ist er zudem in der glücklichen Lage, wie weiland Oskar Matzerath vorgreifen, Beobachtungen machen und Analysen erstellen zu können, die nicht mal einem besonders altklugen Fünf- oder Sechsjährigen anstehen. (...) In Oberland klingen nur die schlechten Zeiten extrem gut. Oberland ist nicht nur ein vom Gestus her ätzender und völlig unsentimentaler Kindheitsroman, sondern ein böses und tiefschwarzes Erinnerungsbuch, ein Anti-Bildungsroman, ein Gothic-Roman, aber ein literarisch sehr ambitionierter. Darüber hinaus aber liest sich der Roman auch noch wie die ultimative Abrechnung eines jungen Schriftstellers mit seiner Generation. (...) Trotzdem braucht Jensen diese immerhin Humus bildende Nullgeneration für seinen großen literarischen Wurf (...). Ihren gebührenden Platz findet diese Generation im voluminösen mittleren Pinneberg-Kapitel, sozusagen dem fetten Fleischstück zwischen zwei nicht weniger leckeren Brötchenhälften (...). Bonjour Tristesse: Behse bleibt nur die Flucht ins Morbide, auf Friedhöfe, in offene Gräber, zu Séancen und suizidalen Spielereien auf dem elterlichen Balkon: eine Mischung aus Robert Smith und Ian Curtis auf Acid. Marcus Jensen lässt, obwohl er praktisch nur die Jahre 1981 und 1982 ins Visier nimmt, fast streberhaft nichts aus an Schrecklichkeiten - interessante Gebrochenheiten und ein falsch-sentimentales Verständnis sind seine Sache nicht. Er packt lieber Detail auf Detail in eine ambitioniert vertrackte Erzählkonstruktion, in der Behse und sein Geist als komplexes oberstes Aufschreibsystem fungieren und die zahlreichen Dialoge zwischen den Lebenden, Toten und Untoten moderieren. (...) Geradezu Modellcharakter bekommt der Roman, wenn Behse sich zwar über das brave Tagebuchschreiben und Poesiealbumführen seiner Mitschüler köstlich amüsiert und erhebt. Er dann aber immer wieder selbst seine fünfhundert Blatt unschuldiges Papier zum Schreiben braucht, um das "Diary Of A Dead Young Man" zu führen - so ist Oberland nicht nur ein Requiem auf eine verlorene Generation, sondern auch eine fulminante literarische Antwort auf die selbstgenügsamen, quietschbunten und eindimensionalen Generationsbücher und Gebrauchsanweisungen der Illies, Marquardts oder Jochimsens.

vollständiger Text online

Kai Martin Wiegandt in Süddeutsche Zeitung vom 5.4.2004:

Und so ist alles Parka oder Geodreieck, Ding oder Dingsbums in dem vor Zeitdetails strotzenden Siebzigerachtzigerjugendroman Oberland von Marcus Jensen, Jahrgang 1967, einem so unebenen Roman, dass man hinter der Unebenheit fast ein Programm vermutet, das matrixmäßig eine Schieflage der Welt nach der anderen produziert. (...) Wie es hier dröhnt vor Naturgewalt, ist großartig geschildert. Gleich zeigt sich Jensens fabelhaftes Beschreibungstalent. Doch schon hier, im ersten der drei Teile des Buches, deutet sich an, was dem Leser fortan zu schaffen machen wird: ein immer krasseres Auseinanderklaffen von Sprache und Inhalt. (...) Die wortreichen Schilderungen wirken echt und lebendig, aber es bleibt die Frage, wozu sie da sind. (...) Es beeindruckt, wie viele Stimmen und Strömungen Jensen aufgegriffen und wiederbelebt hat. (...) So geht der todesversessene "Jens-eits" Behse wie Störtebeker an den zweiundzwanzig Jahren seines Lebens vorbei. Jensen hat raffiniert konstruiert, um dem Roman Form zu geben. Geodreieckform. (...) Zahlenspiele über Zahlenspiele, Spiegelungen, Prophezeiungen. Und doch neigt Oberland zur amorphen Detailmasse ohne Fokus, wenn man unter Fokus nicht bloß den allgegenwärtigen Tod verstehen will. (...) Die rückblickende Perspektive, aus der alles auf den Tod zuläuft, verringert jedenfalls auch die erzählerischen Möglichkeiten. Wo ein Entwicklungsroman von der Offenheit seines Ausgangs lebte und für Kontingenz und die Macht der vergehenden Zeit offen wäre, ist Jensens negative Bildungserzählung eine stringente Desintegrationsgeschichte mit gewissem Ausgang, die den Helden so weit aus allem herauslöst, bis er tot ist. (...) So einseitig dieser Erzähler gezeichnet ist, weil er sich selber so einseitig wahrnimmt, so intelligent sind dann wieder die Reflexionen, die ihm Jensen in den Mund legt. Was in Oberland wiederkehrt, ist das, was nicht zusammenpasst.

Christa Thelen in Woman 9/2004 vom 6.4.2004:

Und je genauer Jensen seine Kindheits- und Jugenderinnerungen beschreibt, umso absurder werden sie. Im Sog der Erinnerungen. Oberland gibt dem Lebensgefühl der Mittdreißiger eine Stimme. Genauso war's, hat man selbst so erlebt - erstaunlich, wie treffend Alltagserlebnisse in ihre Atome zerlegt und seitenlang zelebriert werden können. Es ist wie ein Rausch, doch manchmal ist Jensen fast dem Delirium nahe: Ein paar Seiten weniger, und man hätte sein Sprachfeuerwerk mit noch größerem Staunen gelesen.

(jp) in Die Welt vom 17.4.2004:

[zur Doppellesung mit Ariane Grundies in der Schlosserei Hennig, Hamburg, 15.4.2004]

Als "schwarzen Schelmenroman" bezeichnete Marcus Jensen, Jahrgang 1967, sein Buch Oberland und betonte ausdrücklich, dass dieses weder Pop-Literatur sein will, noch eine Gegenbewegung dazu darstellt. (...) Jensen las, ebenso distanziert, wie Behse selbst sein Leben betrachtet, einen Absatz aus der Kindheit des Jungen, und ging dann über zu einer Schlüsselszene in dessen Pinneberger Pubertätsjahren. (...) Wie unterschiedlich die Erzählformen auch sind - märchenhaft-poetisch bei Grundies, konstruiert-analytisch bei Jensen - , so hängen wir doch bei beider Darbietung wie angeschweißt an ihren Lippen. Das zeichnet gute Erzählarbeit aus.

Gerd Berghofer in Nürnberger Nachrichten vom 24.4.2004:

Das gab es in der Literatur schon oft. Oberland aber ist anders. (...) immer wieder gelingt es Jensen, den dem Buch eigenen gespenstischen Grundton zurückzuholen. (...) die beklemmende Muße, mit der jener tote Jens Behse erzählt, ist auf ihre Weise notwendig. Anhand der Zeitreise macht Behse deutlich, wie einsam er doch blieb in all den Jahren. (...) Oberland ist ein sehr intelligentes Buch, raffiniert konstruiert, für das man sich Zeit nehmen muss.

Dagmar Härter in ekz-informationsdienst 5/2004:

Eine gewaltige, überbordende Sprachlawine, die sich mit nichts anderem beschäftigt als mit Endzeitstimmung und der Lust am (selbstinszenierten) Tod. (...) Dazu gibt es reichlich Schilderungen sexueller Erlebnisse, merkwürdige Praktiken, eigene Exkremente zu sammeln, und immer wieder sein "Jenseitstraining". Im wirklichen Leben findet man solche Typen zum Kotzen, warum sollte es in Buchform anders sein? M. Jensen will die Vereinsamung des Einzelnen in der heutigen Gesellschaft zeigen, aber das Buch hinterlässt einfach nur ein Ekelgefühl vor so viel unmotivierter Welt- und Menschenverachtung, auch wenn sie oft geschickt in Ironie und drastischen Humor verpackt wird.

Frank Schorneck in Macondo 11 und unter titel-forum.de, 3.5.2004:

Jensens Erstling Red Rain aus dem Jahr 1999 konnte bereits begeistern als wortgewaltiger literarischer Amoklauf zur damals anstehenden Jahrtausendwende-Hysterie. Was er uns aber nun mit Oberland präsentiert, sprengt alle Erwartungen - (...) Jensen bricht mit der Erzählperspektive jegliche Konvention. (...) In Anlehnung an Berichte von Nahtoderlebnissen, in denen sich die klinisch toten Patienten über dem eigenen Körper wähnen, blickt auch Behse auf sein "Ich". Wie vor einem Fernseher, dessen Fernbedienung jemand anderes bedient, zappt er unvorbereitet in die Szenerie hinein. (...) Mit Oberland hat Marcus Jensen einen gewaltigen Schritt getan. (...) Belohnt wird man mit einem Roman, der Jensens furioses Debüt Red Rain noch toppen kann. (...) Mit atmosphärischer Dichte, einer zwielichtigen Düsternis und einem mitreißenden Wellengang reißt der erste Teil den Leser schwindelerregend in den Roman hinein. Der raumgreifende Mittelteil ist viel stärker satirisch geprägt. Eine Pubertät in den achtziger Jahren mit ihren Musik- und Modeerscheinungen wird gleichsam zu einer Abrechnung mit der Generation der Eltern und Lehrer. Manchmal trägt Jensen hier ein wenig zu dick auf, wenn er die Dialoge der "gut-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben"-Phrasendrescher präsentiert. Hier wirken der Vater und seine altlinken Freunde ein wenig überzeichnet, was aber durch das Bild der arglos Alexandra-Lieder vor sich herträllernden Mutter wieder mehr als aufgewogen wird. (...) Hier sitzt jeder Satz, jeder Querverweis, hier findet der aufmerksame Leser gar versteckte Verknüpfungen zu Jensens erstem Roman: Da steht Jens Behse zum Beispiel vor dem Badezimmerspiegel und malt sich mit Creme Striche ins Gesicht, als die Tür aufspringt. Der Eindringling reagiert, indem er "Häähähäh - Winnetou" sagt. In Red Rain wiederum hat ein Junge, der Jens Behse sehr ähnelt, einen Gastauftritt auf einer öffentlichen Toilette, wo er auf den als Indianer verkleideten Erzähler trifft und ebenfalls "Winnetou" ausruft. Solche Spielereien, häufig aber subtiler und verschlüsselter, finden sich zahlreich in Oberland - man muss sie aber nicht aufspüren, um den Roman genießen zu können. Wer Red Rain nicht kennt, kann sich auch an den wiederkehrenden Motiven innerhalb Oberlands erfreuen. Der Kreislauf der Kapitänsmütze etwa, den Jensen auf geniale Weise rund bekommt, das Motiv des kopflosen Piraten Störtebeker, das schlussendlich gar Behses Selbstmord bestimmt. (...) Aus dem Meer deutschsprachiger Neuerscheinungen ragt dieser mutige Roman so imposant hervor wie der "Lange Anna" genannte Buntsandstein-Felsturm an Helgolands Küste. Nur eines nehme ich Marcus Jensen übel: dass ich mich während der Lektüre dabei ertappen musste, dass ich Alexandras "Zigeunerjunge" vor mich hinsummte.

vollständiger Text online unter lyrikwelt.de

Hans Christian Kosler im Bayerischen Rundfunk vom 29.5.2004
bzw. in Neue Zürcher Zeitung vom 31.7.2004
:

Man muss heute nicht mehr wie Martin Walser siebzig werden, um nach vielen Skrupeln seine Jugend in Romanform zu bringen. (...) Auch Jensens Opus magnum, mit dessen Niederschrift er bereits 1990 begann, ist zunächst das Porträt einer Generation. Aber auch ein Selbstporträt, dessen Authentizität man an der Verve und Teilnahme ablesen kann, mit der es geschrieben wurde. Aus der Ähnlichkeit zu seinem Romanhelden macht Jensen kein Hehl, ja er lässt sich bewusst in die Karten schauen. (...) Durchaus denkbar wäre somit, dass Jensen wie sein Protagonist als Schüler Logbücher führte, die in sein 1000-seitiges handgeschriebenes (!) Manuskript eingingen. Hautnaher jedenfalls kann man den für Pennäler typischen Mix aus Unsicherheit und Prahlerei, aus seelischen Qualen und aufgesetzter Coolness kaum darstellen. Und dennoch begnügt sich dieser hochartifizielle und sprachmächtige Roman an keiner Stelle damit, nur ein Konglomerat von "eingedosten Erinnerungen" zu sein, die man so gern mit dem Attribut "selig" in Zusammenhang bringt. (...) Es ist nicht einfach, aus den anspielungsreichen und gewitzten Suaden des Erzählers eine stringente Handlung herauszuschälen. (...) Jensen hat vor allem die frühen achtziger Jahre soziologisch und sprachlich perfekt aufgearbeitet: (...) Wenn die Bedeutung seines Jahrganges, wie Jensen behauptet, vor allem in seiner Bedeutungslosigkeit liegt, dann schreibt er mit diesem Roman fulminant dagegen an. Über die Sinnkrise, in der sich auch die Literatur befindet, täuscht Unterhaltung nicht hinweg. Aber man kann sie - wie Jensen - mit Zorn, Witz und genauem Hinsehen deutlich machen.

vollständiger Text online unter lyrikwelt.de

Mathias Schnitzler in Berliner Zeitung vom 10.6.2004:

Nun hat der Autor das schwierige zweite Werk vorgelegt und einiges falsch gemacht. (...) Der formale Clou des Buches, den Geist des toten mit dem noch lebenden Jens kommunizieren und beide als Erzähler mit unterschiedlichen Wissensständen alternieren zu lassen, ist wenig fruchtbar. Am meisten aber enttäuscht, dass der talentierte Jensen die 500 Seiten des Romans vollgepackt hat mit den abgegriffenen 80er-Jahre-Artikeln aus dem Fundus von Illies' Generationenerhebung. Zu dieser hatte er doch, so dachten wir, einen Gegenentwurf liefern wollen.

Heiko Postma auf NDR Kultur am 13.6.2004:

Seine postmortale Lebensbilanz – sarkastisch, böse, ausufernd bisweilen und allemal rücksichtslos (...) Der Autor wiederum – er schrieb mit dieser Rekapitulation einer Kindheit und Jugend in der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre einen Bildungs- und Entwicklungsroman und zugleich eine rotzig resignative Absage an dessen klassische Traditionen. In drei Teile ist das Buch gegliedert, und fokussiert werden drei, jeweils um sieben Jahre auseinanderliegende Lebens-Stationen der Hauptfigur – allesamt seltsam vom Tod und von Todesgedanken umlagert (...) Doch Schwarzsicht schließt Durchblick nicht aus.

Martin Halter in Hannoversche Allgemeine vom 18.6.2004
bzw. in Die Rheinpfalz vom 6.7.2004
sowie in Tages-Anzeiger (Zürich) vom 9.7.2004
:

Hannover: Oberland ist seine Totenbeschwörung: makaber, intelligent, mythologisch (...); die Fähre ist eine Art Totenschiff, die zerbombte Insel ein Totenreich. (...) Für Jens' alles verstehende Eltern ist seine morbide Esoterik eine Provokation, sein Selbstmord der Super-GAU ihres Rationalismus. (...) Jensen glänzt mit Sprachwitz, Virtuosität und Ironie. Aber das Feuerwerk der Pointen verpufft letztlich in jenem Narzissmus, den er als Krankheit der Jugend ausmachte. Das Drama des begabten Kindes verbindet Jens mit Jensen: Beide haben wenig erlebt, fühlen sich aber stark und lebensmüde genug, um den absolut tödlichen Roman darüber zu schreiben.

Zürich: Oberland ist seine Totenbeschwörung, ein düsterer Schelmenroman: makaber, hoch intelligent und beziehungsreich mythologisch. (...) Dass er sich gelegentlich von oben betrachtete oder mit seinem abgestorbenen Ich Selbstgespräche führte, war also mehr als nur ein makabres Spiel. Wie Denis Johnson in Schon tot oder Stewart O'Nan in Halloween schreibt Jensen aus der Perspektive eines Toten. Sein Held ist ein Zombie, der mit dem Leben fertig ist, ehe es richtig begonnen hat. Das erklärt seinen stoischen Zynismus, aber noch lange nicht die durchaus fröhliche, selbstverliebte Ironie, mit der er sich über 500 Seiten hinweg im Diesseits festkrallte. (...) Gerade weil er ein "echtes Ich", keine Grabbeigabe der Eltern sein will, muss er sich auslöschen. (...) Jensen wurde schon für seine Endzeit-Satire Red Rain hoch gelobt, zu Recht. Auch in Oberland glänzt er, stilistisch an Arno Schmidt (und Matthias Politycki) geschult, mit Sprachwitz, technischer Virtuosität und ätzender Ironie. Aber das Feuerwerk der Pointen verpufft, je länger, desto mehr, letztlich in eben jenem besinnungslosen Narzissmus, den er als Krankheit der Jugend ausmachte. (...) und so fällt die Kritik am Terror der Intimität am Ende auf den Sohn selbst zurück. Jens' Tagebuch will die Echtzeit-Rollenprosa eines spätexistenzialistischen Gymnasiasten sein; tatsächlich ist Oberland, bei aller Reflektiertheit, ein Sammelalbum der Attitüden, Floskeln und Gefühlsklischees der 70er- und 80er-Jahre. Das Drama des begabten Kindes verbindet Jens mit Jensen: Beide haben wenig erlebt und fühlen sich doch schon stark und lebensmüde genug, um quasi aus dem Nichts den grossen, absolut tödlichen Roman darüber zu schreiben.

Anne Reinert in Neue Osnabrücker Zeitung vom 18.6.2004:

Warum bringt Jens Behse sich um? Wer auf eine Erklärung wartet, hofft vergeblich. Der 68er-Vater? So schlimm ist der auch nicht. Die unerfüllte Jugendliebe zu Steff, dem 119 Kilo schweren Mädchen mit den vielen Liebhabern? Schon eher. Aber sie scheint doch eher Leidensgenossin als Auslöser für Jens' Schicksal zu sein. Oberland ist eine existenzialistische Weltverneinung. Einen Sinn für Leben oder Tod gibt es hier nicht. (...) Wer Oberland liest, wird dieses verwirrende Buch nicht so schnell vergessen. Und Irritation ist schließlich eine wichtige Aufgabe der Literatur.

Peter Zemla in Applaus, Juli-August 2004:

Der Tod bleibt das ultimative Geheimnis. Und daran zu rühren, ist das aufreibendste, aber auch verdienstvollste Unterfangen, das sich überhaupt vorstellen lässt. (...) so dreht sich doch im Grunde alles um die fatalen Anziehungskräfte, die von diesem schwarzen Loch namens Tod ausgehen. (...) Denn dort warten vier mysteriöse Gestalten auf den Jungen. Sie stammen - profan ausgedrückt - aus dem Jenseits, sind Geister, Abgesandte des Oberlands - ein Begriff, der bei Jensen viel mehr bedeutet als den Teil Helgolands, als der er im Lexikon verzeichnet ist. (...) Jensen erzählt von all dem mit bewundernswerter Virtuosität. Mal ist er ganz nah bei seinen Figuren, kriecht ihnen förmlich unter die Haut und in die Verstandeswindungen, dann wieder stellt er das Objektiv seiner Prosa auf Weitwinkel und gestattet uns Überblicke. Wie der Autor mit direkter Rede Unmittelbarkeit schafft, wie er über kleinste Spracheigenheiten Charakterisierungen vornimmt, all das sucht in der neueren deutschen Gegenwartsliteratur seinesgleichen. Es gibt Passagen, da meint man als Leser Günter Grass zu hören, dann wieder scheint Arno Schmidt das Wort zu führen. (...) Oberland, so schillernd, so geheimnisvoll, so abgründig ist dieser Roman und ganz sicher ein großer Wurf.

Nicola Bardola in Eselsohr vom Juli 2004:

Jensen hat einen Weg gefunden, salopp-jovial (und dementsprechend spontan und sorglos) und gleichzeitig - dank verschiedener Blickwinkel - fesselnd und literarisch anspruchsvoll zu erzählen. Manchmal macht er aber inhaltlich zu große Sprünge. (...) Den jugendlichen Lesern wird das egal sein. Nicht nur die erotischen Passagen in Oberland sind kunstvoll und witzig zugleich und hoffentlich bald Gesprächsthema auf Schulhöfen.

Michael Simbruk in tip Berlin 15/2004 (15.-28.7.2004):

Jetzt gelang es Jensen, mit Oberland einen würdigen Nachfolger zu diesem Erstling vorzulegen. (...) Der Autor entwirft ein Triptychon aus lauter ersten Erfahrungen. Es gibt Dialoge zwischen Lebenden, Toten und Untoten (...) im Gegensatz zu Salinger erzählt Jensen mit ausuferndem Erzähltalent - möglicherweise hätte der eine oder andere Strich im Manuskript gerade gegen Ende hin nicht geschadet. Dennoch spiegelt dieser Roman die Zeit und das Lebensgefühl der 70er und 80er Jahre (...) wie kaum ein anderes Buch.

Christian Schneider unter literaturkritik.de Nr. 8, August 2004:

Jens Behse ist tot. Schon als er zu erzählen beginnt, spricht er mit einer Stimme aus dem Jenseits. Allerdings - hier liegt der überraschende und gelungenste Coup in der Wahl der Perspektive - kann der tote Erzähler nicht steuern, auf welche Szene seines Lebens er blickt. So muss er sich selbst an jene vor ihm ablaufenden Augenblicke seines Lebens herantasten, ohne dabei aber im Geringsten befürchten zu müssen, überrascht zu werden. (...) Bereits auf der Fähre, die ihn bei tosendem Wellengang auf die Urlaubsinsel Helgoland bringt, werden die wichtigsten Motive und Symbole seines Lebens ausgebreitet. (...) Der aufgefaltete Motivkreis schließt sich im dritten Teil, in dem sich der Antiheld plakativ inszeniert selbst in die Luft sprengt. Nicht ohne vorher noch den Gestalten aus dem ersten Kapitel, der blonden "Alexandra" und dem "Wikinger" zu begegnen. Vor allem aber der Oma Kerber, der Pensionswirtin auf Helgoland, der Jens als Zivi schließlich auf ihrer Reise in den Tod beisteht. (...) anders als in den Generationenbüchern der Popliteraten geht es Marcus Jensen nicht um das Beschwören eines Wir-Gefühls. (...) Aber schließlich und vor allem sind es Krankheit und Todessehnsucht, die den jungen Behse sein Leben lang begleiten. (...) Der auf welterklärendes Fabulieren angelegte Roman gerät allerdings, indem er auf die subjektive Erlebens- und Erfahrensperspektive des Protagonisten baut, in weiten Teilen zu einem Kreisen um sich selbst. So wie Jens Behse aus seinen selbst gesteckten Begrenzungen nicht auszubrechen vermag, so wiederholt der Roman die eigenen Wiederholungen und verliert so an Erzähl- und Ausdruckskraft. Ein "Schelmenroman", wie der Buchrücken verheißt, hätte das Buch werden können, und auch die lobenden Vergleiche mit Günter Grass, die manchem Kritiker in den Sinn kamen, scheinen in einigen Passagen durchaus berechtigt. Aber leider verfällt die Lebendigkeit des Kreises, die sich in den ersten Beschreibungen auftut, im zweiten Teil in eine langatmige und ermüdende Todesstarre. Etwas mehr Lebendigkeit hätte man Jens Behse bei aller Todessehnsucht dann doch gewünscht.

vollständiger Text online

Ralf Stiftel in Westfälischer Anzeiger vom 31.8.2004:

Schon auf Seite 14 verrät Marcus Jensen dem Leser, wie sein Roman Oberland ausgehen wird. Da sagt der Ich-Erzähler Jens Behse, der sozusagen doppelt auftritt, über sich als Kind: (...) Jens wird nicht älter als 22. Sein Tod ist ihm vorherbestimmt von höheren Mächten, vielleicht aus jenem Oberland, das mitgemeint ist im Titel, der vordergründig nur einen Teil von Helgoland bezeichnet. Aber natürlich steht die Insel fürs Jenseits. (...) Aber mehr noch beeindruckt die Sicherheit der Konstruktion, wie zum Beispiel die Figuren am Ende zueinander geführt werden. Wie der Alltagswelt die Schattensphäre eines Jenseits übergestülpt wird, so dass Schauplätze und Personen doppeldeutig werden. Und die Sprache, die die verschiedenen Jargons abbildet, die aber auch für mystische Überhöhung und für Reflexion taugt. Und wer hinter die schlechte Laune des Helden blickt, der entdeckt einen grimmigen, heimtückischen Humor.

Matthias Kehle unter Carpe.com, September 2004:

Jensen erzählt sprachmächtig, der tote Jens blickt mit amüsierter Wut und scharfsinniger Gleichgültigkeit zurück auf sein Leben. Harte Schnitte und geschickte Montagen bestimmen dieses längste der drei Kapitel; noch nie hat vor Marcus Jensen ein Autor so detailliert und brüllend komisch Freud und Leid eines Teenagers Anfang der Achtzigerjahre erzählt. (...) Einen Schelmenroman wie aus dem Lehrbuch hat der 37-Jährige geschrieben.

vollständiger Text online, auch unter matthias-kehle.de

Christian Freimuth unter berlinerliteraturkritik.de, 19.10.2004:

Nachdem er 1999 in seinem Debüt Red Rain einen gewaltigen Terroranschlag für die Zeit um die Jahrtausendwende vorhergesagt hatte, verhilft die Grundannahme einer dreitägigen Totenwache dem in Berlin lebenden Marcus Jensen in Oberland zu einer außerordentlichen Erzählperspektive. Mit ihrer Hilfe erschafft er eine Komposition, die in der gegenwärtigen deutschen Literatur wohl vergeblich ihresgleichen sucht. Genießen lässt sie sich jedoch leider nicht. Viel zu sehr langweilt der Autor mit dem Zeitkolorit aus Mad-Heften, Bravo-Starschnitten, der Neuen Deutschen Welle und Poesiealben. Mit all dem, das nach dem Erfolg von "Generation Golf" inzwischen bereits im Privatfernsehen durchgekaut wird. (...) Enttäuschend wirkt auch das wohl stärkste Motiv des Romans, das Sammeln seines "Körpermaterials", wenn man es bereits vor Jahren ganz ähnlich und besser in Nick Caves Roman Und die Eselin sah den Engel gelesen hat. Und so dreht sich die Handlung viel zu häufig unspektakulär um sich selbst. (...) Schade eigentlich.

Maik Bierwirth unter 3sat.de "Denkmal" vom 26.11.2004:

Wenn Sie nun meinen, es lohne sich nicht mehr, den Roman zu lesen, denn das Ende sei enthüllt, so liegen Sie falsch. Behses Tod wird von Anfang an vorausgesetzt. Marcus Jensen begeistert den Leser nicht durch eine packende Handlung, nicht nur. Vielmehr verblüfft er mit einer unerwarteten, cleveren Erzählweise. Die postmortalen Betrachtungen von Jens Behse springen zwischen Tatsachenbericht, persönlichen Charakter- und Zeitstudien sowie ironisch-distanziertem Bewusstseinsstrom des Wiedergängers. (...) Besonders die Darstellung der frühen 80er Jahre aus Sicht eines Teenagers überzeugt in ihrer Detailfülle, wie auch in ihrem Jargon, ohne dabei in die Wohlfühl-Nostalgie mancher Pop-Autoren abzudriften. (...) Doch vor seinem Tod zerstört er die Aufzeichnungen mit großer Akribie. Er löscht seine Identität aus. Und als Chronist nebenbei auch die der Familie Kerber. Eher als bekannte Pop-Literaten kann hier also der geschätzte Thomas Bernhard wieder als literarischer Pate herhalten. Wie dieser, wenn auch mit einem anderen, meisterhaften Stil, verwebt Jensen Oberland zu einem dichten Geflecht von Motiven, Assoziationen, Sprecharten und retardierenden Momenten. (...) Seinen Erstling Red Rain veröffentlichte Marcus Jensen 1999. Schon hier faszinierte ihn der Mythos der Zahlen, er persiflierte zeitgemäß die Panik vor dem Millennium. Bei der Kritik wurde dieser sprachmächtige Roman überschwänglich aufgenommen und der Autor erhielt diverse Preise und Stipendien. Mit Oberland hat er sein Debüt eindrucksvoll übertroffen.

Erika Schellenberger-Diederich in Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart, Marburg, 1/2005:

Marcus Jensen (geboren 1967) hat einen fulminanten Entwicklungsroman geschrieben, der auch ein moderner Heimatroman ist. Der bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Autor verfolgt dabei detailversessen, aber gnadenlos geradlinig das Prinzip der Dekonstruktion. (...) Jensen gliedert den Roman dreischrittig in waldorfpädagogisch-entwicklungsrelevante Sieben-Jahres-Abschnitte, wobei dem Erleben der Pubertät der weitaus größte Teil zukommt. Oberland heißt der höchste Teil von Helgoland, der Insel, die allen Sprengversuchen trotzte. Ein zentraler Begriff des 506 Seiten starken Werkes ist "Lunn". (...) Schon der Klang des Wortes, mit dem man Weichheit und Samtigkeit, ja Zerbrechlichkeit (der Heimat wohlgemerkt) assoziiert, lässt aufhorchen, zumal das Gegenteil, das nicht und nirgends Zuhausesein Jens sein kurzes Leben lang begleiten wird. (...) Der nahezu allwissende Ich-Erzähler wechselt nach Belieben die Erzählperspektiven. So weiß der Siebenjährige schon, wie die Geschichte ausgeht, denn der Roman ist ein großer Rückblick aus der Vogelschau, die ja auch Sterbende mitunter einnehmen, wie man weiß und wie der Autor anmerkt. Aber die altkluge wie zynische Weltsicht des Kindes (Kapitel EINS), des Pubertierenden (ZWEI) oder des Zivis (DREI) ist mitunter unglaubwürdig, und das ist eine Schwäche dieses Entwicklungsromans. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jensen z.T. genau die gefährlich selbstgefällige Sicht der Dinge kopiert, die er an der Figur des Vaters von Jens Behse so gekonnt realsatirisch in Szene setzt. Die Schilderung des familiären Hintergrundes, "Backgrounds" möchte man sagen, gehört zu den stilistischen Glanzstücken des Buches. (...) Der Autor spielt ebenso gekonnt mit Versatzstücken aus der damals in der Tat neuartigen neuen Deutschen Welle. Der intertextuale Bezug des Romans zu Joachim Witts genialem Song "Goldener Reiter" ist ein weiterer Höhepunkt. (...) Traumatisch muss das alles gewesen sein, dass man so ausführlich vom Herumreichen eines modernen Poesiealbums während des Unterrichts berichten muss. (...) War es nicht so, dass der Schelm sein Abenteuer immer mit simplizistischem Witz und einer gewissen Verschlagenheit meistert? Marcus Jensen zeigt uns einen Helden, der zwar die Insignien von Abenteuer und Aufbruch trägt, womit die Kapitänsmütze vollends sinnbildlich wird, der aber nicht wirklich ins Leben hinausfahren will, weil er schon ein Zuhausesein nicht kennt. Das ist neu. Freddy Quinns "Ich mach mir Sorgen, Sorgen um dich" aus "Junge, komm bald wieder" steht auf der ersten Seite des Romans, klingt aber noch bis zum Schluss nach.

vollständiger Text online

Jörg Meyer in Kieler Nachrichten vom 5.2.2005:

[zur Lesung mit Marcus Braun im Kieler Literaturhaus am 3.2.2005]

Sprich: In Jens' Leben ereignet sich nichts, was sich nicht in Schrift fassen ließe, ein Charakteristikum der Figur, aber auch des Romans. Jensens Erzählstil ist so konstruiert und auktorial wie die Erzählsituation und seine Erläuterungen später in der Diskussion mit dem Publikum. Da weiß einer, wie sein Held, genau, was er tut, wo er welches Bonmot setzt, aber es bleibt bei aller Fabulierkunst im Zeichnen eines schrägen Charakters langweilig und seltsam steril.

Dorothea Keuler in literaturblatt 4/2007 vom Juli/August 2007:

Jensens Jenseits beruht auf dem archaischen Glauben, dass Tote in den Tagen nach ihrem Ableben mit ihrem Erdendasein konfrontiert werden. Sonst hat Jens Behse mit esoterischen Todes- und Reinkarnationstheorien nichts am Hut. Er hat sich das postmortale Wiedersehen eher als Videoclip vorgestellt und in der Art eines Dokumentarfilmers beizeiten Szene um Szene für seine postume Personality Show gesammelt. Marcus Jensens einfallsreiche, ironische Inszenierung der Erzählerrolle, sein beachtlicher Fundus an Todesmotiven und sein Hang zum Makabren sorgen nicht nur für ein äußerst groteskes Déja-vu, sondern auch für literarischen Tiefgang.