Rezensionen
für Am Erker

 
   

Cordula Seger / Reinhard G. Wittmann (Hrsg.): Grand Hotel. Bühne der Literatur. Hamburg / München, Dölling und Galitz 2007.

In: Am Erker 54, Münster, November 2007

Könige im Plüschpalast

Vladimir Nabokov, der in seiner ärmlichen Berliner Zeit während der Weimarer Republik jahrelang von einem Pensionszimmer zum nächsten zog, verbrachte den letzten Abschnitt seines Lebens zusammen mit seiner Frau im Montreux Palace mit Blick über den Genfer See - und wieder umgaben ihn keine eigenen Dinge, sondern wild zusammengesuchte Möbel des Hotels. Das sei ihm gleich, sagte der Bestseller-Autor, denn schließlich reiche ohnehin kein festes Zuhause an die wahre Pracht seiner großbürgerlichen russischen Jugend heran. Wozu natürlich auch viel Personal gehörte. Er war es gewohnt, Bedienstete freundlich zu behandeln, und verteilte üppige Trinkgelder. Nabokov, der komfortabel von seiner Frau abgeschirmt wurde (es kursierten sogar Gerüchte, sie hielte ihn gefangen in dieser Doppelsuite unter dem Dach), störte sich nicht daran, eigentlich unprivat zu leben.
Es gibt wohl kein Grand Hotel, das sich selbst ein echtes Understatement verordnet. Immerhin denkbar wären Fünf-Sterne-plus-Häuser, die äußerlich mit strenger Diskretion daherkämen, gerade um ihre Exklusivität zu erhöhen, so dass gewisse Prominente sich von der profanen Welt gänzlich abschotten könnten. Aber das Grand Hotel soll bereits per Definition prächtig und mindestens halböffentlich sein, seine Zurückhaltung ist Pose, es schließt sich prinzipiell nicht ab, es will anlocken. Sowohl politische Herrscher wie Medienmogule sollen hier gerne absteigen bzw. ein Staatsoberhaupt soll das andere zum Wohnen dorthin schicken, die Unterschichten sollen zumindest träumen vom gepolsterten, gepanzerten Leben und werden im Falle plötzlichen Reichtums (seufzend) aufgenommen, das gehört zum stillen Gesetz der Luxusherbergen, dieser postfeudalen Idealform, denn auch Wirtschaftskongresse passen ins Haus ebenso gut wie proletarisches Personal. Alle halten es gerade hier miteinander aus, alle haben ein Interesse am Grand Hotel. Man liebt es oder lässt es, niemand hasst es.
Der Band Grand Hotel. Bühne der Literatur wurde von Fachleuten geschrieben, ist dabei auch noch bestens lesbar und schafft einen sehr angenehmen Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung. Logischerweise geht es zunächst, bevor die einzelnen Kapitel über berühmte Hotel-Autoren und -Stoffe folgen, um die Anfänge der Grand Hotels als Adelsgasthäuser auf Zeit, als Ersatzpaläste für die Gleichgestellten auf Durchreise. Ganz früher blieb man noch unter sich. Die Vorgeschichte ist allein schon wegen des literarischen Sujets der Fallhöhe nötig: Im Prozess der Aufweichung der sozialen Schichten gesellte sich im 19. Jahrhundert der Typus des Hochstaplers zum großbürgerlichen oder eben doch adligen Stammpublikum. Das Grand Hotel war nicht nur eine Festung der obersten Zivilisation inmitten der aufgewühlten, schmutzigen Stadt oder der heilenden, aber schroffen Bergwelt, sondern verkörperte auch die kurze selige Annäherung der Standesgrenzen. Das Bürgerschloss: ein konsequentes Lieblingsobjekt der Literatur. Gerade der Bühnencharakter der kleinen Begegnungen und Momenteindrücke, die schiere Möglichkeit zum zeitlich begrenzten Auftritt unter falschem Namen und Staffage reizte sowohl den Great Pretender zur Umsetzung wie auch die epische Form gewaltig.
Thomas Mann bediente sich für seinen Felix Krull aus diversen Quellen über Hotel-Betrüger, wobei Krull als Boy den Betrieb sogar zuerst von innen kennen lernte und von dort aus in seine eigene Welt startete. Aber auch heute gibt es großartige Figuren dieser Art wie etwa den angeblichen Sohn des VW-Vorstandsvorsitzenden Schniedel in Thomas Brussigs Wie es leuchtet, der anno 1989/90 im Ost-Berliner Tophotel lange unerkannt bleibt, weil die Daten-Vernetzung dort noch nicht angekommen ist. Der von einer Luxusherberge zur nächsten sich schwindelnde Typ wird es heute immer schwerer haben, aber die ungebrochene Lust an diesem Stoff beweist so ein aktueller Film wie Valerie (angesiedelt im Berliner Grand Hyatt), der die zusammenbrechende Fassade eines abgebrannten Ex-Topmodels zeichnet - sie übernachtet zwar in ihrem klapprigen Jaguar in der Hotelgarage, stakst aber immer wieder herausgeputzt durchs Foyer, ein mageres, gestyltes Gespenst.
Anhand der hier kompetent beschriebenen Hotel-Literaten wie Schnitzler, Thomas und Klaus Mann, Proust, Stefan Zweig, Joseph Roth oder Nabokov versucht das Buch glücklicherweise gar nicht die Frage zu stellen, ob es denn die typische Existenz eines Hotel-Literaten gibt. Der globetrottende Dandy an dem einen Ende der Skala, der verarmte Exilant am anderen? Es gab und gibt viel zu viele Zwischenformen (Klaus Mann allein deckte mehrere ab), die zum Teil auch aus ästhetischer enger Verwandtschaft resultierten, denn ein Maler von großbürgerlichen Panoramen wie Proust nutzte selbstverständlich das Grand Hotel, schrieb jedoch zurückblickend in der isolierten Stille seiner Wohnung, während Joseph Roth inmitten lautstarker Geselligkeit "just in time" arbeitete und sich von Vorschuss zu Vorschuss totschuftete. Literaten, die sowohl über als auch in Hotels schrieben, taten das nicht immer gerne. Agatha Christie verwendete ehrwürdige Plüschquartiere gerne schon deshalb als Bühnen, weil sie sofort einen glaubhaften internationalen Standard im englischen Weltreich erstehen ließen und man auch reisende Charaktere in ihnen beliebig zusammenstellen konnte, eine Universal-Puppenstube - so benutzt H. P. Karr in seinem Aufsatz über sie schließlich das Wort "Setzkasten". Und die Bestseller-Autorin Vicki Baum, der Eckhard Gruber einen der besten Beiträge dieses Bandes widmet, hatte mit dem Werk, das man selbst heute noch mit ihr verbindet, dem wie auf dem Reißbrett entstandenen Kommerzroman Menschen im Hotel von 1929, biografisch nicht viel zu tun, sondern arbeitete angestellt bei Ullstein und war lediglich eine besonders erfolgreiche Nutzerin des Grand-Hotel-Rahmens, der schon kurz nach dem Kaiserreich die Soapkulisse schlechthin werden sollte.

Am Erker Nr. 54
▲ Am Erker Nr. 54 (2007)

Seger / Wittmann: Grand Hotel
▲ Cordula Seger / Reinhard G. Wittmann (Hrsg.): Grand Hotel (2007)