Rezensionen
für Am Erker

 
   

Ursula Krechel: In Zukunft schreiben. Handbuch für alle, die schreiben wollen. Salzburg / Wien: Jung und Jung 2003.

In: Am Erker 46, Münster, Dezember 2003.

Die schreiben wollen

Viele moderne Schreibenlernen-Pauker haben keinerlei Hemmungen, eigene schwache Texte als Lehrmaterial zu verordnen, nicht einmal der grundsolide US-Profi Sol Stein, der bei Zweitausendeins sehr erfolgreich doziert. Obwohl auch seine Methode im Wesentlichen auf eine zeitgeistige Hallo-wach-Ästhetik hinausläuft, bewirkt er mit seinem durchgehaltenen charmanten Ton schon das Wichtigste bei dieser Meta-Literaturgattung: ein wärmendes Gefühl. Inhaltlich nämlich unterscheiden sich die Beispiele und Trockenübungen von Onkel Stein und seinen Kollegen bis hin zu Stephen King nicht groß voneinander, sie bringen in der Praxis wenig, weil der erlernbare Anteil des Schreibens am eigenen Text trainiert werden muss, da, wo es wehtut.
Ursula Krechels Buch In Zukunft schreiben, das sich im Untertitel irreführend Handbuch für alle, die schreiben wollen nennt, beginnt mit dem typischen Programm: Sie analysiert herauspräparierte konventionelle Schreibweisen, rät zur gezielten Abweichung, um Spannung durch wohldosierte Irritation zu erzeugen, und erhebt dann genau das zur Norm. "Gute Dialoge sind elliptisch, sie bilden keine Alltagsrede ab, sondern reduzieren ihre Elemente, bis sie blank liegen." Ihre Empfehlungen dieser Art sind allerdings genauso kontextabhängig wie die der amerikanischen drill instructors. Dabei geht es Krechel doch um etwas anderes.
Zu einem brauchbaren Handbuch hat sie wenig Lust. Innerhalb einer Seite etwa analysiert sie eine billige Soap-Bauweise, korrekt, aber dann versteigt sie sich zu einem germanistischen Denkmalsatz: "Dem Erzählen bleibt (...) die Dekonstruktion des schon Erzählten". Welchem Schreibwilligen nützt so etwas oder das Philosophieren über "den Einfall" oder das Raunen über die "Aura" oder das Vorhalten des heute (!) so stilbildenden Thomas Bernhard, wenn Krechel übergangslos pauschalisiert: "Man experimentiere mit dem ganzen Reichtum der Sprache, mit Rhythmen und Formen." Schön, aber der Lernwert dessen liegt bei Null.
Krechels Springen zwischen eher banalen Hinweisen (immer ein Notizbuch dabeihaben), den üblichen Übungen aus ihren eigenen Seminaren (skizzieren Sie Gegenstände), den Schreibspielen und plötzlichen Auflistungen von Tipps wirkt unentschlossen, weil ihr die langen essayhaften Schwärmereien über die Wundersamkeit des Schreibens, der Übersetzung und der Lyrik, die den Hauptteil des Buches bilden und keinen praktischen Wert haben, deutlich wichtiger sind. Was will dieses Handbuch? "Inspirieren"? Krechel zeigt, was sie schön und erhaben findet, doch das ist höchstens die Aufgabe eines Vorwortes, und vor allem bildet für Einsteiger das Erkennen guter Kunst ohnehin schon den Antrieb, da braucht es keinen Schubs. Die Stärken des Buches sind die teilweise persönlichen Betrachtungen zum Literaturbetrieb, die eher sagen: Tut es nicht! Aber wer in Zukunft schreiben will, muss das wie in der Vergangenheit im stillsten Kämmerlein mit sich selbst abmachen, da hilft kein Rat und keine Animation.

Am Erker Nr. 46
▲ Am Erker Nr. 46 (2003)

Ursula Krechel: 'In Zukunft schreiben'
▲ Ursula Krechel: In Zukunft schreiben (2003)

Sol Stein: Über das Schreiben
▲ Sol Stein: Über das Schreiben (1995/ dt. 1997)