Dalai Lama: Ratschläge des Herzens. Aufgezeichnet und mit einem Vorwort von Matthieu Ricard. Zürich, Diogenes 2004.
In: Am Erker 49, Münster, Juni 2005.
SH14 lacht
Er ist der André Rieu der Spiritualität: Überall präsent, verbreitet er auf allen Kanälen frohe Botschaften wie Himmel voller Geigen, und er schlappt, umgeben von seinen Begleitmönchen, zu erfolgreichen Auftritten vor entrückt jubelnde Massen. Außerdem steht er unter Lachgas. Wer nicht "ein Freund des Dalai Lama" ist, hat in früheren Leben sicher etwas verbrochen. An Wiedergeburt glaubt heute fast jeder Christ, und gerade die Deutschen, die den letzten Papst gerne als 'JP2' abkürzten, besingen hemmungslos 'Seine-Heiligkeit-den-Vierzehnten-Dalai-Lama'. Weil der tibetische Buddhismus eine religiöse Supermacht darstellt, findet SH14 angeblich kaum noch Zeit für populäre Texte, aber seine 'Ratschläge des Herzens' gab er heiter und gelassen trotz unzähliger Termine. Im devoten Vorwort wird über das Kloster Seiner Heiligkeit geraunt: "Man spricht wenig, und wenn, dann nur leise, denn man ist sich der Nichtigkeit unnützer Worte bewußt."
Mehr wäre zu diesem gedruckten Verlegenheitsgeschenk nicht zu sagen. Fernöstliche Weisheiten? Fehlanzeige. Glückskekse sind gehaltvoller, billiger, schmecken besser und stehlen erheblich weniger Zeit. Eigentlich könnte das Büchlein für spirituell Herausgeforderte auch von Pastor Fliege stammen. Es sind salbungsvolle, halbwegs moderne Paulus-Briefe ("An alle, die unglücklich sind") über inneren Frieden, Familienwerte, gesellschaftliche Integration, maßvollen Beischlaf, knapp geduldete Homosexualität, ethischen Fortschritt, geteilten Reichtum. Man soll das Positive sehen, sich entspannen, nichts Impulsives tun und selber atmen.
Zweihundert Seiten multikulturelle Banalitäten. Passen Sie gut auf sich auf. Die Vorstellung, dass Pastor Fliege der wahre Autor sein könnte, ist durchaus hilfreich. Denn die wenigen fernöstlichen Elemente des Buches wirken manchmal befremdlich. Der Vierzehnte lässt die unterschiedlichen Ausrichtungen Mahayana, Hinayana und Vajrayana diplomatisch nebeneinander gelten - damit hält er sich alles offen. Und er verbreitet kindische Vereinfachungen: "Wenn Sie als Buddhist an die Wiedergeburt glauben, dann ist der Tod für Sie nur ein Austausch der körperlichen Hülle: Es ist, als würde man neue Kleider anziehen, wenn die alten abgetragen sind."
Sobald SH14 nicht weiterweiß, steht im Text "(lacht)". Das finden seine Anhänger charmant. Bei der Frage nach dem bescheidenen vegetarischen Leben kichert er nur und gibt zu, dass die Tibeter Fleisch essen und die Tiere nicht einmal selber töten - dann ist Ende der Durchsage (lacht). Besonders fröhlich klingt er auch, wenn er sich an Atheisten wendet: Diese verlorenen Seelen sollen, wenn sie denn schon nichts glauben, halt alles bewusst tun, auch bewusst sterben. Wem das helfen soll und wozu? Egal. Solche Ratschläge kommen eben von Herzen. Seine Heiligkeit spricht: "Wir alle haben ein Anrecht auf das Minimum." Das erhalten die Leser garantiert (lacht).
[Nachtrag: Das Hörbuch zum Buch wurde wenige Jahre später tatsächlich von Pastor Fliege eingelesen.] |

▲ Am Erker Nr. 49 (2005)

▲ Dalai Lama: Ratschläge des Herzens (2004)
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