Marc Degens: Unsere Popmoderne oder Das Beste aus schlechten Büchern. Berlin, SuKuLTuR 2005.
In: Am Erker 50, Münster, Dezember 2005.
Varieté mit Ansager
Im Fernsehen hatten Parodisten eine Zeit lang Hochkonjunktur, als das Politkabarett zum Gähnen reizte. Die Parodie besitzt genügend Comedypotenzial und behält sich doch immer eine handfeste Beleidigung vor, wie die Satire. Der bekannteste Vertreter der literarischen Parodie, Robert Neumann (1897-1975), traf in scharfen Konzentraten etwa Hedwig Courths-Mahler oder Thomas Mann, dagegen verfährt die heutige Form selten personenbezogen, sondern fast immer feuilletonistisch. Autoren-Travestien kann es kaum noch geben, und das hat seine guten Gründe.
Unsere Popmoderne ist ein Varieté mit einzelnen Nummern, die sich längst nicht auf einen Nenner bringen lassen: mal liebevoll, mal böse, trashig oder gedrechselt. Marc Degens verrät nicht, ob er jemand Bestimmtes meint, aber Richtungen sind zu erkennen. Er gliedert die Show in 28 Textteile und zugehörige Kommentare, wobei letztere nicht zum selben Stil gehören, sondern die zoologische Einordnung der Texte besorgen.
Die am ehesten identifizierbare Persiflage ist eine zu Rainald Goetz' Buch Rave: coole Nichtigkeiten zwischen Bäm-Bäm-Bäm-Gestampfe. Ein anderer Auftritt erinnert an die pompöse Romantikersprache Robert Schneiders. Ein Computerprogramm schreddert Musil, daneben werden Sampling-Techniken, kurze Sozialreportagen, Kitsch, hardboiled Krimis und Pubertätsphantasien ausgebreitet. Die beste Travestie ist die einer französischen Lolita, die ebenso verhuscht wie verrucht durchs Leben gleitet. Einfach Lustiges gibt es (Pistolenduell zwischen Autor und Kritiker im Schnee), und einige Geschichten, z.B. über Doyles Sherlock Holmes, sind weniger Satiren, sondern Hommagen. Eine Story hat Degens nach den Simpelregeln des 'Hamburger Dogma' geschrieben, was leider niemanden stören dürfte, da diese Fertigbauweise sich längst durchgesetzt hat.
Das Buch, so disparat seine Nummern auch sind, trifft einen bestimmten Ton immer wieder sicher: den der Popliteratur. Allein vier Geschichten handeln hohle hippe Typen in hohlen hippen Situationen ab. Auch hier gilt: Die dahinter stehenden Autoren erraten zu wollen, wäre müßig. Muss es Pop sein? Es muss. Was die literarische Parodie heute erfassen kann, sind Erscheinungen, keine Persönlichkeiten. Das schränkt ihre Wirkung drastisch ein. Sie hat Comedy zu sein, sonst wäre sie veraltet. Man kann kaum jemandem ernsthaft auf die Füße treten, da kaum jemand das gemeinte Objekt erkennen würde. Die Opfer erscheinen, von Reich-Ranicki abgesehen, platterdings nicht im Leitmedium. Ein Grass-Walser-Lenz-Handke-Strauß-Karikaturalbum zu schreiben, läge nahe, doch es hätte keinen lebendigen Unterhaltungswert, solange die Mehrheit des möglichen Publikums es nicht genießen könnte. Der Buchtitel Unsere Popmoderne bezeichnet keine Auswahl aus dem Spektrum, sondern gibt das einzige Ziel vor: die noch erkennbare Gruppe. Es existiert kein Kanon mehr, der es zuließe, sich auf breiterer Ebene (Zeitungen und Magazine etc.) einzelne Autoren vorzunehmen. Parodien beziehen sich heute auf fernsehtaugliche oder mindestens feuilletonistische Formate. Das ist zwar schade, aber Marc Degens hat das Maximum dabei rausgeholt. |

▲ Am Erker Nr. 50 (2005)
 ▲ Marc Degens: Unsere Popmoderne (2005)
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