Rezensionen
für Am Erker

 
   

Matthias Göritz: Der kurze Traum des Jakob Voss. Roman. Berlin Verlag 2005.

In: Am Erker 51, Münster, Mai 2006.

Ohnmächtiges Zuschauen

Ein schleswig-holsteinisches Dorf, etwa 1983. Jakob Voss, Bürgermeister einer Kleinstadt nahe Hamburg, die als Elmshorn zu erkennen ist, hat sich mit der kommunalpolitischen Szene überworfen und will nun in jenem Dorf etwas Neues beginnen. Er errichtet eine moderne Enten- und Putenzuchtfarm. Für das Dorf heißt das: Arbeitsplätze. Für die Eheleute Voss: eine Zerreißprobe. Für den pubertierenden Sohn Nick: schmerzhafte Umstellung. Nick verliebt sich in die Dorfschönheit Ruth, doch die findet die Jungs der Mopedgang viel interessanter. Die norddeutsche Provinz erlebt alles um Jahre verzögert, ein sozialer Traum aus den Siebzigern treibt Jakob Voss um, und er macht die Arbeiter seiner Farm zu Teilhabern, splittet ihre Bezahlung auf in Lohn und Anteilsscheine, was die Werktätigen zunächst edel und gut finden, aber dann, als die Farm wirtschaftlich nicht hochkommt und die Vögel kränkeln, geradezu betrügerisch.
Der Autor Matthias Göritz, 1969 geboren, von dem bisher ein Lyrikband veröffentlicht wurde (Droschl 2001), zeichnet ein Porträt ohne Schuldzuweisungen. Sein stilistisch klarer, realistischer Roman überzeugt mit einer genauen und behutsamen Bildersetzung, was sowohl die Massentierhaltung als auch die eher melancholische Pubertät betrifft. In Der kurze Traum des Jakob Voss heißt der Sohn Nick immer "der Junge", er sieht anderen beim Erleben zu, er bricht sich nie wirklich Bahn. Vielleicht bezeichnet das den Zusammenhang zwischen dem, was sich der Vater aufbauen will, und dem Jungen selbst: dass es nicht fruchtet. Der Vater bleibt bis zuletzt ein Tatmensch, auch wenn er scheitert, der Sohn eben "der Junge", der neben dem Vater herlebt. Die Banken zögern mit neuen Krediten, achselzuckend heißt es: "zuviel Reform, und Sie enden wie Owen: als abgesetzter Utopist." Nach einem Jahr Schufterei und Hoffnung feiert der erledigte Voss das erste und letzte Jubiläum der Farm mit einem großen Fest. Nick schaut bei der gesamten Katastrophe zu. Zwar kann Jakob Voss seine Arbeiter noch einmal hinhalten, aber in derselben Nacht bricht eine Massenepidemie unter den Tieren aus. Umgeben von toten und sterbenden Enten zerbricht der Traum des Vaters vor aller Augen. Und Ruth treibt es mit der Rockerbande.

Am Erker Nr. 51
▲ Am Erker Nr. 51 (2006)

Matthias Göritz: Der kurze Traum des Jakob Voss
▲ Matthias Göritz: Der kurze Traum des Jakob Voss (2005)