Rezensionen
für Am Erker

 
   

Tilman Rammstedt: Wir bleiben in der Nähe. Roman. Köln, DuMont 2005.

In: Am Erker 51, Münster, Mai 2006.

Steriler Dreier

Ein Ich-Erzähler mit Nachnamen 'Möchte' muss eine blässliche Figur sein. Felix Möchte bekommt von seiner Ex-Freundin Katharina nach drei Jahren Funkstille eine Hochzeitseinladung. Jener Katharina, die er damals mit seinem Freund Konrad hatte teilen müssen. Konrad war schneller gewesen, und Felix spannte ihm Katharina aus, allerdings nur in Teilzeit. Katharina beendete das Doppelverhältnis und nahm Reißaus. Jetzt ist Felix empört, dass sie einen unbekannten Dritten heiratet. Er springt über seinen Schatten und ruft Konrad an, um sich gemeinsam empören zu können.
Tilman Rammstedt zieht seinen Roman Wir bleiben in der Nähe damit auf, dass diese ehemaligen Freunde sich nun unter peinlichem Herumgewinde in einem Lokal verabreden, Lockerheit spielen, zugeben, dass es ihnen nicht recht ist, was Katharina tut - und ihr die Hochzeit ausreden möchten. Diese Verdruckstheit wird wunderbar dargestellt. Fast impulsiv fahren sie zu Katharina nach Hamburg. Bei der Begegnung scheint sie nahezu unbeteiligt zu sein, kein Wunder, sie verkörpert die mit Abstand reifste Person im Trio. Ihr Bräutigam ist gerade nicht da. Felix fasst den Entschluss, Katharina zu betäuben und zu entführen. Konrad macht mit. Hier haben zwei Bubis ohne Streit ein Spielzeug gemeinsam besessen, ihr Spielzeug ist dann weggelaufen, und jetzt sind die Bubis auf dem Wege, es einem doofen Dritten zu entreißen, weil sie meinen, ihr Ex-Spielzeug sei dann besser dran.
Die mangelnde Leidenschaftlichkeit bezeichnet in diesem Buch das Hauptproblem. Von einer Liebe kann keine Rede sein, und dieser Menage à trois fehlt Erotik. Die sexuelle Rivalität zwischen Felix und Konrad deutet der Autor nicht einmal bildlich an. Überhaupt ist es unmöglich, die beiden als Männer zu betrachten, und ihr tatsächliches Alter (man hält sie für zurückgebliebene Mittzwanziger) verrät Rammstedt erst im letzten Fünftel und hätte es besser ganz verschwiegen: Das Personal ist Mitte dreißig.
Als Hommage auf François Truffauts Film Jules und Jim hat Katharina ihren Namen von der Heldin Catherine geborgt. Die französische Dreiergeschichte von 1962 galt damals als gewagt, das Provozierende in Rammstedts Buch von 2005 jedoch besteht in der Unerwachsenheit. Die Jungs bleiben in der Nähe ihrer Kindheit, und selbst die Rückblende, die vom ersten Körperkontakt zwischen Felix und Katharina erzählt, wirkt so, als würden sich Kinder aneinanderdrücken - ohne spürbares Begehren, ohne Leiden, ohne Trieb. Statt eines Aktes gibt es nur einen lustlosen Schnitt: "... zog mich wieder an sich, und als es kurz danach vorbei war ...".
Die beiden Jungs müssen der schlafenden nackten Katharina ihre Sachen überstreifen, um sie ins Auto ihres Bräutigams zu tragen, mit dem man dann an die bretonische Küste flieht, nach Finistère, ans Ende der Welt. Eigentlich bekleiden hier Zwölfjährige eine Puppe ohne benannte Geschlechtsmerkmale und tragen dieses unerotische Ding die Treppe hinunter. Es herrscht freundliche Sterilität. Die Regression wird allerdings kaum thematisiert, nur im Kinderspiel 'Fang den Hut', das die Jungs im Ferienhaus spielen, während Katharina gar nicht so böse ist über ihre Entführung, sondern Krimis liest und ebenfalls wartet. Den Jungs fällt wie dem Autor nichts ein.
Weiterführungen sind denkbar, gewisse Plotpoints drängen sich auf, in der Story läge noch Potenzial, das Ende der Welt kann es nicht sein, aber Rammstedt lässt Felix, dem immerhin die Idee zur Entführung gekommen war, jetzt wie einen Teenie über Biografie-Fortschreibungen schwadronieren. Dass man am Ende Konrad halb betäubt und zurück nach Hamburg fährt, bewirkt kein Vorantreiben des Stoffes, sondern nur eine Wiederholung. Das Buch verstummt dann eh. Die drei Abhänger bringen den viel versprechenden Plot unnötig um ein Ende. In diesem sauber geschriebenen Jugendroman mag Rammstedt keine Fehler begehen, er vermeidet Leidenschaft, versucht, aus seiner Not eine Tugend zu machen, und riskiert dadurch bei dieser eigentlich emotionalen Story nichts. Er stellt ein anständiges Sinnbild hin, damit das Wort 'Generation' sich anbietet. Nun mag es ja gerne die Absicht sein, dass man gewissen Möchtern beim Stehengebliebensein zugucken soll, aber meint der Autor, das reiche schon? Offensichtlich findet er es angemessen, denn sonst hätte er zwingend einen echten Abschluss gefunden.

Am Erker Nr. 51
▲ Am Erker Nr. 51 (2006)

Tilman Rammstedt: Wir bleiben in der Nähe
▲ Tilman Rammstedt: Wir bleiben in der Nähe (2005)