In den ersten sieben Ausgaben der Zeitschrift "Bücher" standen meine sieben Beiträge zur Kolumne "Überschätzte
Bücher": Polemiken auf Bestseller (gerne Schullektüren).
Hier die unredigierten Fassungen.
Überschätzte Bücher, Bücher 2/2004, Essen, Januar 2004.
Michel Houellebecq: Plattform
Marilyn Manson ist erledigt, seit Antje Vollmer den Kinderschreck als großen Künstler lobte. Und Michel Houellebecq? Der arme Kerl wurde immer schon geliebt. Im Ton eines mauligen Analyse-Patienten verbreitet er den gepflegtesten Menschheitsekel seit Sartre und Céline in den Dreißigerjahren, und seine Leser beklatschen seinen Zynismus entzückt wie Duracellhäschen. Houellebecq selbst hatte diese Rolle wohl satt - statt mit bösem Blick schockiert er in seinem jüngsten Roman Plattform mit Naivität. Das Buch krankt an Optimismus.
Es beginnt wie immer, und praktischerweise heißt der Ich-Erzähler Michel: ein vierzigjähriger muckscher Pariser Angestellter, blass und einsam, der weder Lust am Leben noch am Sex hat. Michel tappt frustriert durch die ersten Seiten wie Bernd-das-Kastenbrot aus dem Kinderkanal. (Sicher gibt es bald eine Houellebecq-Schmusepuppe, die auf Knopfdruck "Mist" sagt.) Nachdem er seinen Vater verloren und über seine Arbeit und seine Kollegen abgelästert hat, fliegt er nach Thailand, um auch dort herumzunölen. So weit, so lustig.
Houellebecq stellt zwar sehr schön dar, dass im Abendland Liebe und Sex nurmehr Krampf sind, aber plötzlich meint es ernst damit, Thailand bzw. Kuba seien Orte der Erlösung. Jetzt beginnen die Probleme, denn Michel verschafft den schönen jungen thailändischen Huren gerne mal zwei Orgasmen hintereinander und lernt in der Reisegruppe zudem die schöne junge Valérie kennen, die ein ebensolcher pitschnasser Traum ist. Er begreift es selbst nicht: "Ich bin ziemlich verbraucht, ein ungeselliger Typ und habe mich mit einem eher langweiligen Leben abgefunden. Und dann kommst du auf mich zu ..."
Nein, dass diese geile Heilige, diese hocherotische unneurotische Frau existiert und sich in Bernd-das-Kastenbrot verliebt - das kann Houellebecq Domian erzählen. Leider ist die uralte Macho-Utopie, dass die Prostituierten eine 'natürliche' Freude an ihrem Job hätten, eine Voraussetzung des Buches. Die "ideale Tauschsituation" zwischen erster und dritter Welt braucht lauter herrliche wuschige Mädchen, die begeistert sämtliche Sorten Touristen bedienen.
Erstens verabschiedet sich der Roman also nach fünfzig Seiten in eine einfältige Männerphantasie, und zweitens bewertet Michel die Hässlichkeit der Welt hoppladihopp positiv. Haarsträubend. Er, Valérie und ein Manager gründen die "Plattform". Diese weltweite Edel-Bordellkette ist als Idee nicht neu (in Nabokovs Roman Ada hieß sie Villa Venus), und sie basiert darauf, dass die Prostitution den Huren Spaß macht. Wohlgemerkt: geschrieben ohne einen Funken Ironie.
So simpel gestrickt war Houellebecqs Prosa noch nie. Langatmige Reiseführerpassagen und Tourismustheorien dehnen das Buch enorm aus, allerlei unmotivierte Sex-Szenen halten die Leser immerhin wach. Valéries Leben und der verlogene Roman werden beendet durch ein islamistisches Attentat. Michel fällt zurück in Depression. Alles wie gehabt. Auf Start. Bereit für das nächste, bessere Houellebecq-Buch. Hoffentlich wieder mit Elend. |

▲ Magazin Bücher 2/2004

▲ Michel Houellebecq: Plattform (2001, dt. 2002)
|